Christlich-islamischer Dialog
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Die Bibel im Koran

Karl-Josef Kuschel: Die Bibel im Koran. Grundlagen für das interreligiöse Gespräch, Patmos Verlag, Ostfildern 2017, ISBN 978-3-8436-0726-1, 666 Seiten, € 49,00

Rezensent: Ralf Lange-Sonntag

Das vorliegende Werk des bekannten Tübinger Theologen behandelt die Erwähnung bzw. Aufnahme biblischer Topoi und Personen im Koran. Dabei – so der Untertitel – gehe es um die „Grundlagen für das interreligiöse Gespräch“. Dies ist in doppelter Weise irreführend, denn die Behandlung des Themas „Bibel im Koran“ betrifft vor allem den christlich-islamischen Dialog, in gewisser Weise auch den Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen. Inwieweit das Verhältnis von Bibel und Koran allgemein den interreligiösen Dialog tangiert, bleibt unklar. Der Untertitel, der auf die Grundlagen im Verhältnis von Bibel und Koran zu zielen scheint, ist aber vor allem irreführend, weil er zu Unrecht vermuten lässt, dass Kuschel kurz und präzise die fundamental wichtigen Daten zum Thema Bibel und Koran erhebt. Allein der Umfang von 666 Seiten widerspricht dieser im Untertitel angelegten Vermutung. Auch inhaltlich handelt es sich nicht um eine Darlegung von Grundlagen, sondern eine in vielem sehr detaillierte Auseinandersetzung mit der Erwähnung und Verarbeitung biblischen Materials im Koran. Die Hoffnung, dass diese in vielem interessante und gewinnbringende Analyse des Korans im Hinblick auf biblische Stoffe zumindest umfassend ist, wird jedoch ebenfalls enttäuscht. So behandelt der katholische Theologe zwar die koranischen Texte, die Adam, Noah, Mose, Joseph sowie Jesus und Maria erwähnen. Die vielfältige Aufnahme von Abrahamstexten im Koran wird jedoch stillschweigend im Hauptteil ignoriert, obwohl in den einleitenden und abschließenden Kapiteln auf die Bedeutung Abrahams für Judentum, Christentum und Islam hingewiesen wird. Es mag Gründe geben, die Abrahamsgestalt nicht zu thematisieren, sie werden jedoch nicht reflektiert. Ebenso bleibt unklar, warum das Kapitel über Joseph nach dem über Mose zu stehen kommt, während sonst die von der Bibel vorgegebene chronologische Reihenfolge ausschlaggebend ist. Weiterhin ist zu kritisieren, dass andere im Koran erwähnte Personen wie zum Beispiel Hiob keine Bearbeitung erfahren. Noch einmal: Es mag Gründe geben, warum dies so ist, mitgeteilt werden sie nicht. Schließlich wäre es interessant gewesen, Antworten oder zumindest Hypothesen hinsichtlich der Frage zu erhalten, warum bestimmte biblische Personen im Koran keinerlei Erwähnung finden. Vor allem ist ja das Fehlen des paulinischen Schrifttums bezeichnend. Ein Antwortversuch auf diese Frage wäre erhellender gewesen als ein letztlich für die Sache wenig austragender Prolog von knapp 50 Seiten zum Verhältnis von Sadat und Helmut Schmidt.
Die Inkonsequenz im Aufbau und in der Behandlung des Themas zeigt sich auch im Hinblick auf die Ziele des Werkes. Kuschels Selbstaussagen sind sehr allgemein gehalten: Absicht des Buches sei es „zu einer verantworteten Glaubensentscheidung anzuleiten“ (S. 229) bzw. das Buch sei geschrieben für Interessierte am Dialog, „die nicht wissen, wo anfangen, wo einsetzen.“ (S. 19) Das ist alles gut und richtig, bleibt aber doch sehr vage.
Neben der mangelnden Zielsetzung und der fehlenden Reflektion des Aufbaus gibt es weitere methodologische Mängel: Die Literaturangaben sind zum Teil nach ihrem Vorkommen im Text, zum anderen Teil alphabetisch sortiert. Das macht keinen Sinn und erschwert die Suche nach einem Werk ungemein. Dazu kommen unzählig viele Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler, vor allem am Ende des Werkes, was den Eindruck hinterlässt, dass hier aus Zeitgründen mit heißer Nadel gestrickt werden musste. Dabei sind dann auch inhaltliche Fehler entstanden, z.B. wenn in der Behandlung der Josephs-Erzählung der Bäcker und der Mundschenk, denen Joseph im Gefängnis in Ägypten begegnet, verwechselt werden.
Hat man dann trotz der gravierenden Mängel seinen Frieden mit dem Werk gemacht, können auch die positiven Seiten gewürdigt werden. Kuschel hat die von ihm behandelten biblischen Personen sehr detailreich analysiert und dargestellt. Vor allem die „chronologisch-evolutive“ Herangehensweise an die Koran-Texte zeigt auf, wie im Koran je nach Situation der jungen muslimischen Gemeinde die biblischen Texte unterschiedlich aufgenommen wurden und sich entwickelten. So ist auch Kuschels Aussage gut nachvollziehbar, dass die biblischen Überlieferungen im Koran so vermittelt werden, „dass sie zu aktualisierten Spiegel- und Gegengeschichten werden für den durch den Verkünder angestoßenen und jahrelange [sic!] hin und her wogenden Kampf zwischen altem und neuem Glauben“ (S. 27).
Der Tübinger Theologe hat für sein Werk Unmengen von Literatur zum Thema verarbeitet und zusammengefasst. Vor allem bezieht er sich durchgehend auf die Berliner Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth. Während die neuere westliche Forschung ausgiebig referiert wird, werden klassische muslimische Korankommentare leider selten bis gar nicht konsultiert. Allein der in deutscher Übersetzung vorliegende Korankommentar des aus dem Judentum zum Islam konvertierten Muhammad Asad (Leopold Weiß) aus dem 20. Jahrhundert findet häufiger Erwähnung. Unklar bleibt angesichts der vielen Zitate und Bezüge auf Werke anderer Forscher auch, worin eigentlich das Innovative im Werk Kuschels zu sehen ist. So bleiben bei allem Gewinnbringenden letztlich ein ambivalenter Eindruck und das Fazit: Weniger wäre mehr gewesen.