Christlich-islamischer Dialog
Material

Muslimische Betrachtungen christlicher Kunst

Navid Kermani: „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“, Verlag C.H. Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-68337-4, 303 Seiten, € 24,95

Rezensent: Ralf Lange-Sonntag

Der Islam hat ein ambivalentes Verhältnis zum Bild. Zum einen hat sich seit früher Zeit ein Bildverbot herausgebildet, das alle Abbildungen von Gott und bedingt auch von Menschen untersagt – obgleich dieses Verbot auch immer wieder unterlaufen wurde. Zum anderen haben sich in der europäischen Öffentlichkeit Bilder des Islam eingeprägt, die eher abstoßenden Charakter haben: Kaum ein Bericht über den Islam in den Massenmedien, der nicht durch Kopftuch, Schwert oder aggressive Salafisten bebildert wird. Auch die Porträts von Menschen, die dem Islam ein Gesicht geben, haben sich eingeprägt, sei es Osama bin Laden für den internationalen Kontext oder Pierre Vogel und Sven Lau für den nationalen. Als den Versuch eines Gegenbildes kann man die Gebetsgesten des Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels 2015, Navid Kermani, werten: Die offenen Hände, die geschlossenen Augen, der gebeugte Körper – sie stehen für einen Islam, der – jeder Aggressivität beraubt –  voller Demut nach innen orientiert ist und von dort Kraft für das Wirken in der Welt sammelt.


Von gleicher Intensität und Demut ist auch die vorliegende Annäherung an das Christentum bestimmt, die Navid Kermani unter dem Titel „Ungläubiges Staunen“ veröffentlicht hat. In der Betrachtung von vierzig Bildern - nicht alle unter ihnen sind Kunstwerke im eigentlichen Sinne – nähert sich der Muslim Kermani der fremden Religion. Einige der Bildbetrachtungen sind dabei schon an anderer Stelle veröffentlicht worden, unter anderem in dem 2011 erschienen Roman „Dein Name“, den Kermani selbst als „Materialsammlung“ für „Ungläubiges Staunen“ bezeichnet (S.291). Dennoch ergeben diese überarbeiteten und erweiterten Bildmeditationen nun ein eigenes neues Ganzes. Angeordnet sind die einzelnen Kapitel in drei etwa gleich großen Abteilungen. Die erste stellt Maria und Jesus in den Mittelpunkt, die zweite widmet sich unter der Überschrift „Zeugnis“ einzelnen Persönlichkeiten des Christentums (und seiner Vorgeschichte in der Hebräischen Bibel), die dritte fasst Bilder zusammen, die die  Lebens- und Glaubensäußerungen der Kirche und ihrer Mitglieder betreffen. Bezeichnenderweise verzichtet Kermani angesichts der muslimischen Scheu, Gott abzubilden, auf christliche Kunstwerke, die diesen darstellen.


Kermanis Beschäftigung mit dem Christentum ist zugleich Auseinandersetzung und Annäherung. Manches bleibt ihm suspekt wie die allgegenwärtige Verwendung des Kreuzes, anderes ist ihm sympathisch und er kann parallele Strukturen in Islam und Christentum wahrnehmen. Die Annäherungsbewegung ist bisweilen so stark, dass der Muslim mit iranischen Wurzeln, der im Siegerland aufgewachsen ist, von „meinem Christentum“ sprechen kann – wohlweislich abgegrenzt von „dem Christentum“. Dennoch geht der Autor mit solcher Positionierung so weit, dass mancher traditionelle Muslim nur mit dem Kopf schütteln würde.


Genau betrachtet realisiert der Autor jedoch, was selbst konservative Muslime immer wieder betonen, dass nämlich Mohammed nur das bestätigt habe, was schon vor ihm von Gott offenbart worden sei und in Tora und Evangelium seine legitime Verschriftlichung gefunden habe. Wie nur wenige andere Muslime aber setzt Kermani den muslimischen Glaubenssatz konsequent in die Praxis um, indem er über die Bibel und ihre Verbildlichung sowie über das Glaubensleben der Christen mit aller Ernsthaftigkeit nachdenkt. Das Ergebnis ist in der Regel sowohl für Christen als auch für Muslime erhellend. Der unvoreingenommene Blick auf die Kunstwerke liefert auch christlichen Lesern neue Perspektiven, z.B. wenn der Autor angesichts einer kaum dem klassischen Schönheitsideal entsprechenden Abbildung Jesu als Kind darüber sinniert, „ob Jesus nicht zum Liebenden wurde, indem er sich beschämt an die Lieblosigkeit des Kindes erinnerte“ (S.20). Auch die Kontrastierung mit der Vielfalt des islamischen Kunst führt zu neuen Aspekten: Der in Köln lebende Autor bemerkt treffend zum Richter-Fenster im Kölner Dom, dass mit ihm „die Abstraktheit, die mathematische Anordnung und sogar manche Farbprinzipien der islamischen Baukunst in den Dom“ einziehen (S.270). Vor allem aber wenn Kermani Traditionen des Sufismus, des mystischen Islams, heranzieht, zeigt sich ihm die große Nähe zwischen den beiden großen Religionen.


Man muss nicht alle Urteile Kermanis teilen: Ob die mysteriösen Figuren eines Hieronymus Bosch einfach so als „Phantasytrash“ (S.239) abgetan werden können, ist zu bezweifeln. Dennoch sind die Betrachtungen Kermanis von einer enormen Tiefe, weil sie die Spannung zwischen einer präzisen Beschreibung und der individuellen Aneignung des  Bildes aushalten.
Als einziger Mangel bleibt, dass sich Kermani vor allem der katholischen Bildwelt öffnet – nicht umsonst begleitet ihn bei seinen Recherchen ein imaginärer „katholischer Freund“. Ausnahmen macht der Autor nur im Hinblick auf die orthodoxen Kirchen, der Protestantismus wird hingegen gänzlich ignoriert – vielleicht ein Erbe seiner Jugend im reformierten Siegerland. Dass die evangelische Kirche sich hingegen als Kirche des Wortes versteht, erkennt Kermani zumindest indirekt an: Er zitiert die Bibel konsequent nach der Übersetzung Martin Luthers.