Christlich-islamischer Dialog
Hinweise zu Neuveröffentlichungen

Räume religiöser und spiritueller Vielfalt

Thomas Erne  / Peter Noss / Christian Bracht (Hg.): Open Spaces - Räume religiöser und spiritueller Vielfalt. KBI 10, Jonas Verlag, Kromsdorf/Weimar 2016, ISBN 978-3-89445-532-3,  176 Seiten, € 20,00

Rezensent: Ralf Lange-Sonntag

Die heutige Gesellschaft ist im Hinblick auf die religiöse Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zusehends durch Pluralisierung gekennzeichnet. Während noch vor 50 Jahren Religion fast ausschließlich in Form des Christentums, und zwar als katholische und evangelische Kirche, öffentlich präsent war, hat sich die religiöse (und konfessionelle) Situation seitdem immer weiter ausdifferenziert. Dies zeigt sich unter anderem auch in der Zunahme jener Räume, die nicht mehr allein einer Religion (oder Konfession) zuzuordnen sind, sondern mehreren religiösen Gruppen bzw. deren Anhängern zur Verfügung stehen sollen. Hier beginnt jedoch schon das Problem: Sind diese Räume oder Bauten wirklich unter einem Oberbegriff zu fassen oder sind interreligiöse Räume klar von multireligiösen Räumen und diese wiederum eindeutig von Räumen der Stille zu unterscheiden?
Der vorliegende 10. Band des Kirchbauinstituts in Marburg greift diese Frage auf und beleuchtet sie von unterschiedlichsten Perspektiven. Zum einen beziehen sich die Herausgeber, die Theologen Thomas Erne und Peter Noss sowie der Kunsthistoriker Christian Bracht, dabei auf einen interdisziplinären Studientag  mit vorausgehender Tagung im Jahr 2013. Aus nicht genannten Gründen sind ein Teil der Tagungsbeiträge schon vorher in einem separaten Tagungsband veröffentlicht. Im Hintergrund scheint es wohl Verwerfungen zwischen den Organisatoren der Tagung gegeben zu haben, so dass es zu zwei voneinander unabhängigen Publikationen gekommen ist. Der vorliegende Band präsentiert zudem auch Fotos, die einer Ausstellung im Kirchbauinstitut in Marburg entnommen sind und exemplarisch verschiedene Formen multi- bzw. interreligiöser Räume künstlerisch ins Bild bringen. Die Auswahl der Motive, die überwiegend auf Peter Noss zurückgeht, gibt einen sehr guten Überblick über die große Bandbreite solcher multireligiösen bzw. interreligiösen Räume.
Die einzelnen Beiträge des Sammelbands greifen das Phänomen jener Räume religiöser und spiritueller Vielfalt aus unterschiedlicher Perspektive (und in unterschiedlicher Qualität) auf. Zusammen ergeben sie ein Bild, das durch mehrere Konfliktlinien gekennzeichnet ist. Zunächst zeigt sich, dass die meisten Projekte von außen angestoßen wurden, von Krankenhäusern, Universitäten, Flughäfen oder Justizvollzugsanstalten. Dahinter steht zumeist das Interesse dieser Einrichtungen, ihren Nutzern religiöse Begleitung und Möglichkeiten religiöser Observanz zu bieten, ohne jeder einzelnen religiösen Gruppe ein eigenes Angebot vorhalten zu müssen.  Demgegenüber wird nur selten die Initiative von Seiten religiöser Akteure ergriffen, deren Projekte, wie z.B. das Haus der Religionen in Bern, räumlich und strukturell einen ganz anderen Ansatz bieten als die oben genannten Beispiele. Dies führt zu der Frage, ob wir es wirklich mit einem neuen Bautypus zu tun haben. Von kunsthistorischer Seite lehnen dies Almut Berchtold und Christian Bracht in ihrem Beitrag ab. Gerade für die vermehrt realisierten Räume der Stille stellen die beiden Kunsthistoriker fest, dass es zu „Extremformen ästhetischer und semantischer Neutralität“ (S. 19) gekommen sei. Zudem orientieren sich viele als multi- oder interreligiös betitelten Räume in ihrer „diffuse(n) sakramentale(n) Semantisierung“ (ebd.) gerade nicht an der Vielfalt der Religionen, sondern an den Modellen der monotheistischen Religionen, die im vorderasiatischen Raum entstanden sind, und künstlerisch am „white cube“-Konzept der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Ein Grundmuster multireligiöser Räume sei jedoch nicht erkennbar (S. 27).
Dem widerspricht Thomas Erne, Theologe und Leiter des EKD-Instituts für Kirchenbau und Kunst der Gegenwart. Es gehe um „Räume, die keine oder keine explizite religiöse Referenz aufweisen, aber für solche Akzentuierungen offen sind“ (S. 33f.). Solche „holistischen“ Räume (Sabine Kraft) bilden einen eigenen Raumtypus dessen Kennzeichen eine „ästhetische (…) Unendlichkeit zugunsten vielfältiger religiöser Deutungen“ (S.34) ist.
Alexander-Kenneth Nagel, Religionswissenschaftler aus Göttingen, konzentriert sich in seinem Beitrag auf eine weitere Konfliktlinie, nämlich auf den Widerspruch zwischen (geplanter) Funktion und (tatsächlicher) Nutzung, den er exemplarisch an Räumen der Stille in Krankenhäusern aufzeigt. Die Räume sollen eine religiöse Öffnung aufzeigen und in ein ganzheitliches Gesundheitskonzept eingefügt werden. Statt zur interreligiösen Begegnung wird der Raum aber sequentiell und religiös-konfessionell genutzt. Es kommt sogar bisweilen zur Umnutzung des Raums, z.B. in einen muslimischen Gebetsraum mit Trennwänden für das separate Gebet von Frauen und Männern. Im Krankenhausalltag wird der Raum der Stille auch als zusätzlicher Gesprächsraum und als Schulungsraum verwendet. Diese Umnutzungen machen deutlich, dass schon im Vorfeld der Errichtung eines multi- bzw. interreligiösen Raumes konkrete Regeln für die Verwendung aufgestellt werden müssen.
Ein großer Akzent bei der Entwicklung von Räumen religiöser und spiritueller Vielfalt liegt auf der künstlerischen Ausstattung. Wie Markus Zink, Referent der EKHN für Kunst und Kirche, darlegt, muss die Kunst von „gezielter Unbestimmtheit“ (S. 98) geprägt sein, die aber zugleich „potenziell für die religiöse Deutung anschlussfähig“ sein soll. Der katholische Professor für Liturgiewissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, Albert Gerhards, führt den Gedanken weiter und erläutert, dass Räume religiöser Vielfalt sowohl religiöse Identität durch deren Anschlussfähigkeit an die jeweilige religiöse Herkunft ermöglichen müssen als auch zur „spirituelle Kontaktstelle“ (Karl-Josef Kuschel) werden sollen. Prägnant zieht er die Summe der Diskussionen des vorliegenden Werkes: „Das ist zwar die Quadratur des Kreises, aber darunter geht es nicht.“ (S.159)