Christlich-islamischer Dialog
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Im Herzen der Spiritualität

Anselm Grün / Ahmad Milad Karimi: Im Herzen der Spiritualität. Wie sich Muslime und Christen begegnen können. Herausgegeben von Rudolf Walter, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2019, ISBN 978-3-451-03131-1, 288 Seiten, € 20,00

Rezensent: Ralf Lange-Sonntag

Rudolf Walter, dem langjährigen Cheflektor im Verlag Herder, ist das Kunststück gelungen, zwei namhafte Autoren, die gleichermaßen Verbundenheit zur eigenen Religion als auch kritische Eigenständigkeit gegenüber deren vorherrschenden Strukturen kennzeichnen, zu einer persönlichen Begegnung und zu einem mündlichen und schriftlichen interreligiösen Dialog zu bewegen: Anselm Grün, Benediktinermönch in Münsterschwarzach und Autor zahlreicher Bücher, die auf elementare Weise Themen des Glaubens ansprechen, und Ahmad Milad Karimi, Professor der Islamischen Theologie in Münster und unter anderem Übersetzer des Korans ins Deutsche. Das Ergebnis ist überzeugend und sowohl zum Denken als auch zum Dialog anregend, obgleich auch manche Mängel und Desiderate erkennbar sind.

Die Genese des Buches und seine Einordnung in die nach dem Zweiten Vatikanum konsequent vom Herder Verlag durchgeführten „Weltgespräche“ beschreibt der Herausgeber in seinem Vorwort. Was den genauen Entstehungsprozess des Werkes angeht, bleibt Rudolf Walter jedoch sehr vage. Gerne hätte man hier mehr zur Entwicklung des Buches und zum Abstimmungsprozess der Autoren erfahren.

In der anschließenden Hinführung beschreiben beide Autoren je für sich, welche Motive und Ziele sie bei dem vorliegenden Werk verfolgen. Der katholische Mönch berichtet von Begegnungen mit Flüchtlingen im Kloster und von der Aufbruchsbewegung nach dem Zweiten Vatikanum, die beide je für sich das Ende der Isolation bedeuten und den Ruf zum Dialog nahelegen. Offenheit für den anderen bedeutet dabei auch, „vom Dialog mit dem Islam etwas für den eigenen spirituellen Weg“ (S. 15f.) zu erlernen. Der muslimische Theologieprofessor hingegen sieht schon von der Entstehung des Islam her die Notwendigkeit zum Dialog mit dem Christentum. Beide sind sich einig, dass gerade der Bezug auf die spirituellen bzw. mystischen Aspekte des Glaubens den Dialog zwischen den Religionen erleichtere und bereichere.

In einer ersten thematischen Annäherung an Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Religionen vergegenwärtigen sich die beiden Autoren der „Stolpersteine“, die entweder den Zugang zur anderen Religion verhindern oder doch zumindest für Irritationen sorgen. Als solche „Provokationen“ (S. 23) benennt Karimi u.a. das Gottesbild der Muslime, das koranische Offenbarungsverständnis und die Gewaltfrage. Im Gegenzug problematisiert Grün neben anderem das Dogmenverständnis, die Menschwerdung Gottes in Christus und die Trinität als „Stolpersteine“ für Muslime. Die in diesen Kapiteln nur knapp angerissenen Themen werden dann im Hauptteil des Buches aufgegriffen und entfaltet. In dem mit „Horizonte und Felder der Spiritualität“ überschriebenen und etwa 200 Seiten langen Zentrum des Buches werden 23 Themen des Glaubens jeweils aus muslimischer und aus christlicher Sicht behandelt. Die Auswahl der Abhandlungen beginnt bei der Frage nach dem Ursprung der Welt und des Lebens, behandelt dann klassische dogmatische Themen wie das Gottesbild oder Heilige Schriften, aber auch Fixpunkte der spirituellen Praxis wie Gebet und Fasten sowie ethische Werte (Barmherzigkeit, Liebe), die Fragen nach Mission und gesellschaftlichem Engagement und mündet schließlich ein in die Themen von Tod und Auferstehung. Viele dieser Abschnitte sind sprachlich elementar und dicht und inhaltlich in die Tiefe gehend. Die jeweilige Bezugnahme auf das vom andersgläubigen Ko-Autoren Gesagte ist erfreulicherweise durchgehend erkennbar. Durch die Konzentration auf die spirituelle und mystische Perspektive, die Gott als das unfassbare Geheimnis des Lebens begreift und u.a. auch im Rückgriff auf psychologische Kenntnisse die humanistische Tragweite der Religionen betont, werden in vielen Fällen Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen jenseits von Dogmen und Institutionen erkennbar. Karimi fasst diese Entdeckung folgendermaßen zusammen: „Die Antworten können ganz unterschiedlich sein. […] Aber entscheidend ist: Unsere Fragen sind dieselben. Und auch mir scheint die Haltung wichtig: dass wir die Wahrheit nicht im Besitz haben, auch wenn wir davon überzeugt sind, dass unser eigener Weg wahr ist.“ (S. 19, Hervorhebung im Original)
Als evangelischer Rezensent empfinde ich die Auswahl der Themen bisweilen sehr katholisch, erkenne aber das Bemühen Grüns an, das evangelische Profil wahrzunehmen und wie im Fall der Aktion „Sieben Wochen ohne“ zu würdigen.

Leider zeigen sich im Hauptteil auch kritische Aspekte des Dialogs zwischen Grün und Karimi. Der Wunsch nach Harmonie führt dazu, dass manches Anstößige vorschnell neutralisiert wird, ohne das Provokative einmal stehen zu lassen oder sich von der Ursache des Dissenses zu trennen. Wenn für den Münsterschwarzacher Mönch „Dogmatik die Kunst ist, das Geheimnis offenzuhalten“ (S. 68), sind die erbitterten Kämpfe um manche christlichen Dogmen nicht wirklich ernstgenommen. Ebenso wird der in der Geschichte erhobene Absolutheitsanspruch des Christentums verharmlost, wenn er vorschnell dahingehend umgedeutet wird, dass „Christus […] die absolute Zusage Gottes an uns Menschen“ sei (S. 171). Auf der anderen Seite neigt der islamische Theologe aus Münster bisweilen dazu, steile Thesen in den Raum zu stellen, die gut und sympathisch klingen, doch weder argumentativ unterfüttert sind noch als eigene Meinung im Gegensatz zum muslimischen Mainstream gekennzeichnet sind – so z.B., wenn Karimi schreibt: „Im Herzen zu leben heißt: Muslim zu sein.“ (S. 167). Ebenso bleibt unverständlich, warum „nirgends sonst als in der Mystik […] der Ort zu sehen [ist], wo die gemeinschaftlichen Normen differenziert in eine individuelle Moral übersetzt, durchdacht und in die Praxis eingebettet werden“ (S. 191).

Bewegend ist der „Ausklang“ des Werkes, in dem der Muslim christliche Traditionen interpretiert und in Beziehung zur islamischen Spiritualität setzt und der katholische Autor entsprechend muslimische Texte behandelt. Die Bezeichnung als „Annäherung in Geschichten“ ist jedoch irreführend, da in der Mehrzahl der Fälle keine Geschichten aufgegriffen und interpretiert werden. An dieser Stelle könnte in kommenden Auflagen, die ich dem Werk sehr wünsche, nachgebessert werden.