Christlich-islamischer Dialog
Hinweise zu Neuveröffentlichungen

Einblicke in den bosnischen Islam

Omerika, Armina (Hg.): „Muslimische Stimmen aus Bosnien und Herzegowina. Die Entwicklung einer modernen islamischen Denktradition. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Armina Omerika“, Buchreihe der Georges-Anawati-Stiftung, Band 6, Verlag Herder, Freiburg 2013, ISBN 978-3-451-30741-6, 271 Seiten, € 17,99

Rezensent: Ralf Lange-Sonntag

Die Einsicht, dass der Islam ein Teil Europas sei, setzt sich trotz mancher Gegenrede immer mehr durch. Neben der Etablierung zahlenmäßig nicht zu vernachlässigender muslimischer Bevölkerungsteile mit Migrationshintergrund und deren Institutionen in den Staaten West-Europas spielt in der Diskussion die Erkenntnis eine tragende Rolle, dass vor allem in Süd-Ost-Europa Muslime schon seit Jahrhunderten ansässig sind. Es ist daher folgerichtig, dass die Buchreihe der Georges-Anawati-Stiftung sich mit ihrem neuesten Werk der Entwicklung des muslimischen Denkens in Bosnien und Herzegowina widmet. Die von Armina Omerika zusammengestellte und kommentierte Auswahl muslimisch-bosnischer Texte verfolgt dabei eine doppelte Zielrichtung: Zum einen soll historisch die Entwicklung des muslimischen Denkens in Bosnien und Herzegowina nachgezeichnet werden. Zum anderen soll theologisch der bosnische Islam als mit der Moderne kompatibel dargestellt werden.
In ihrer detailreichen Einleitung skizziert Armina Omerika, die selbst in Bosnien-Herzegowina aufgewachsen ist und ihre Promotion über die Geschichte des Islam in Bosnien-Herzegowina verfasst hat, die zahlreichen Brüche, denen der Islam in Bosnien ausgesetzt war.

Als früherer Teil des osmanischen Reiches übernahm der bosnisch geprägte Islam sowohl osmanische Traditionen als auch lokale Eigenheiten, als er ins österreichisch-ungarische Reich integriert wurde. Innerislamische Reformbestrebungen verbanden sich anschließend im ersten jugoslawischen Staat (1918-1941) mit nationalen Fragen, die auch die Kooperation eines Teils der bosnischen Muslime mit dem Hitler-Regime bestimmten. Während der Zeit des sozialistischen Jugoslawiens sahen sich die Muslime verstärkt durch die säkularistische und religionskritische Staatsdoktrin herausgefordert, um schließlich nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens eine auch politisch relevante Einheit von Bosnien und Islam zu betonen. Trotz derartig unterschiedlichen Einflüssen ziehen sich einzelne Themen wie ein roter Faden durch die neuere Geschichte des Islams in Bosnien. Dazu gehört vor allem die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Ethnie bzw. Nation. Nicht weniger relevant war die Auseinandersetzung zwischen innerislamischen Reformbewegungen und traditionalistisch eingestellten Kräften. Schließlich ging es immer auch um die Positionierung des bosnischen Islam in einem multireligiösen bzw. säkularen Umfeld.


Während oft dem bosnische Islam als „aufgeklärte(m), moderne(m), ‚autochthon europäische(m)‘ Islam“ ein „Vorbildcharakter“ attestiert wird (S.12), hat sich die Islamische Gemeinschaft, die institutionalisierte Vertretung der Muslime in Bosnien und Herzegowina, lange Zeit nicht als Gegenbewegung zum Islam arabischer oder türkischer Prägung festlegen wollen. Dennoch hat sich ein Konsens herausgebildet, der 2006 vom Rechtshistoriker Fikret Karčić ausformuliert wurde: Die islamische Tradition der Bosniaken (d.h. der bosnischen Muslime im Gegensatz zu den Serben und Kroaten in Bosnien-Herzegowina) ist bestimmt durch die sunnitische Tradition hanafitischer Prägung, ist der osmanisch-islamischen Einflusssphäre zugehörig und integriert vorislamische Praktiken sowie die Ideen des islamischen Reformismus. Seine Institutionalisierung erfolgt in Form der Islamischen Gemeinschaft und realisiert sich in einem säkularen Kontext (S.61ff.).


An der Geschichte des bosnischen Islam interessierte Leser werden folglich sowohl der Einleitung als auch den einzelnen Texten wertvolle Einsichten entnehmen können. Theologisch betrachtet sind die Einblicke in den bosnischen Islam jedoch enttäuschend. Der als maßgeblicher Theologe vorgestellte Husein Đozo zum Beispiel ergeht sich in theologischen Allgemeinplätzen und verunglimpft in einem ursprünglich 1982 veröffentlichten Text den indo-pakistanischen Reformer Sayyid Ahmad Khan als „Maulheld(en)“, „niederträchtig“ und „böswillig“, ohne sich argumentativ mit dessen Ansätzen auseinanderzusetzen (S.121ff.). In ähnlicher Weise plädiert der Theologe Enes Karić für eine Nachbarschaft von Juden, Christen und Muslimen in Zeiten der Globalisierung, um anschließend simplifizierend festzustellen, dass „der Hauptteil der Glaubens- und biblischen Tradition des Judentums und Christentums (…) schon seit langem in der islamischen Synthese enthalten“ sei (S.253). Deutlicher kann man kaum festhalten, dass der Islam den defizitären Religionen Judentum und Christentum überlegen sei, ohne dass die betroffenen Religionen mit ihrem eigenen Selbstverständnis gehört werden müssen.


Als Fazit bleibt, dass die Texte zwar das Interesse des bosnischen Islam an einem im säkularen Europa verankerten Islam dokumentieren, es ihnen aber nicht gelingt, die dafür nötigen Transformationsprozesse auszulösen. Angesichts der komplexen Geschichte Bosniens erweist sich diese Herausforderung letztlich als Überforderung.