Christlich-islamischer Dialog
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Der Islam in Deutschland

Mathias Rohe: Der Islam in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme, Verlag C.H.Beck, München 2016, ISBN: 978 3 406 69807 1, 416 S., € 16,95

Rezensentin: Gerda Willam

„Deutschland ist ein religions- und weltanschauungsoffener säkularer Staat. Religion und die Ausübung staatlicher Macht sind voneinander getrennt, aber die Verfassung ist offen gegenüber Religionen und Weltanschauungen. Solche Offenheit gilt für alle Menschen gleichermaßen, nicht nur für die Mehrheit. Dieses auf geschichtliche Erfahrung gegründete System hält Religionen keineswegs nur für eine ‚Privatsache‘, vielmehr hat sie ihren Platz auch im öffentlichen Raum. Damit wird ein mittlerer Weg zwischen früheren Verbindungen von Staat und Religion einerseits und einer säkularistischen, religionsfeindlichen Ersatzreligion andererseits gebahnt, der sich seit vielen Jahrzehnten bewährt hat. Atheistisches Jakobinertum hat schon der nicht der Bigotterie verdächtige Kurt Tucholsky mild verspottet mit dem Aphorismus: ‚Ein skeptischer Katholik ist mir lieber als ein gläubiger Atheist.‘“ (319)Dieses Zitat beim Ausblick am Ende des Buches weist auf den Inhalt. Wer in diesem Buch theologische Vertiefung oder Auseinandersetzung über den Islam sucht, der wird enttäuscht sein. Der Autor Mathias Rohe, Jurist und gleichzeitig Islamwissenschaftlicher, ist kein islamischer Theologe und will es auch gar nicht sein. Als Jurist weist er klar darauf hin, dass inhaltliche Fragestellungen aus der je eigenen Religion beantwortet werden müssen. Er als Nicht-Muslim kann (und will/darf) nur „das zu beobachtende tatsächliche Verhalten und die öffentlichen geäußerten Ansichten von Muslimen hier und jetzt“ (14) (in Deutschland) aufzeigen. Ihm ist es dabei wichtig, auf Dinge hinzuweisen, die oft vermengt werden, wie z. B. Migration und Religion, negative Entwicklungen in manchen islamisch geprägten Ländern und Lebenssituation in Deutschland.

Zusammenhänge und Verbindungen über Deutschland hinaus nimmt er nur auf, wenn sie für das alltägliche Leben in Deutschland relevant sind und vergleicht sie auch immer wieder mit dem Christentum.Ausgehend von den ersten Begegnungen mit dem Islam (Kreuzzüge und Kulturtransfer, Sehnsüchte und Projektionen in Europa, die mit Orient und Islam verknüpft wurden) und der darauffolgenden konkreten Geschichte der Muslime in Deutschland (von Kriegsgefangenen des Osmanischen Reiches, zur Arbeitsmigration der 60er Jahre und dem Asylstrom der letzten Jahre) widmet sich der dritte Teil den religiösen und soziokulturelle Prägungen der Muslime in Deutschland. Viele Statistiken untermauern die große Bandbreite der Religiosität und der religiösen Praxis. Der vierte Teil ist v.a. den verschiedenen deutschlandweit agierenden Organisationen und Einrichtungen gewidmet, in ihrer ganzen Bandbreite. Aufgrund der vorhandenen Fülle kann es nicht mehr als ein kurzer Überblick sein mit vielen Verweisen. Danach geht es um konkrete Fragen, wie sich muslimisches Leben im Alltag entfalten kann: Welche Hürden gibt es für Moscheen, Minarette, Gebetsrufe oder religiöse Kleiderverordnungen? Wie lassen sich im deutschen Alltag die Ritualvorschriften – etwa Fasten, Beschneidung, Schächten – beachten? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Staat und muslimischen Organisationen? Sind islamische Normen mit deutschem Recht vereinbar? Islam in der Schule, islamische Seelsorge, Bildungseinrichtungen an Universitäten und interreligiöser Dialog kommen ebenfalls zur Sprache.

Abschließend fragt Mathias Rohe nach Perspektiven des Zusammenlebens in Zeiten von Flüchtlingen und bestehenden Ängsten. Er bringt dabei wertvolle, differenzierende Argumente bei den oft wiederholten Stereotypen: „die muslimische Frau als unterdrücktes Opfer“ oder „Demokratiefeindlichkeit des Islam“. Er warnt vor „vorauseilende[m] Gehorsam“ gegenüber bestimmten religiösen Meinungen ebenso wie von vielen Falschmeldungen aus der islamfeindlichen Szene. Rohe gelingt es mit seinem Grundlagenwerk über den konkret gelebten Islam in Deutschland auch für Nichtjuristen verständlich zu sein. Wertvoll ist dabei die sachliche Argumentation, die Fülle an weiterführendes Material (über 1000 Fußnoten), sowie die offen angesprochenen Chancen und Probleme. Er liefert mit diesem Buch aber nicht nur einen Beitrag zur Versachlichung in einer heute oft aufgeheizten Stimmung, sondern auch einen wertvollen Beitrag für den interreligiösen Dialog, nicht auf theologischer Ebene, aber auf der Ebene des praktischen Alltags und des Handelns. Darüber hinaus erfährt der Leser, wie ein religions- und weltanschauungsoffener säkularer Rechts-Staat in der Praxis aufgebaut ist, welche Chancen er hat und der große Wert der Rechtssicherheit, den er gerade allen Religionen und Weltanschauungen gibt. Eine wertvolle Information, auch im Blick auf die anderen Religionsgemeinschaften und ihr Verhältnis zum Staat – incl. des Christentums.